Bundesärztekammer legt Novelle der Hämotherapie-Richtlinie vor
Berlin, 31.08.2023 – Die Bundesärztekammer (BÄK) hat im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut die „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten“ novelliert. Neben diversen Aktualisierungen erforderten die mit dem UPD-Reformgesetz neu geschaffenen gesetzlichen Rahmenbedingungen eine kurzfristige Anpassung, um auch künftig die Sicherheit der Spendewilligen sowie der Blutprodukte zu gewährleisten.
Zukünftig ist eine spendewillige Person für vier Monate von der Spende zurückzustellen, die innerhalb der letzten vier Monate ein Sexualverhalten aufgewiesen hat, das ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt. Die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität der spendewilligen Person oder ihrer Sexualpartnerinnen bzw. -partner spielen bei der Bewertung des Risikos keine Rolle mehr. Zum risikobehafteten Sexualverhalten gehören
- Sexualverkehr mit insgesamt mehr als zwei Personen,
- Sexualverkehr mit einer neuen Person, wenn dabei Analverkehr praktiziert wurde,
- Sexarbeit und deren Inanspruchnahme,
- Sexualverkehr mit einer Person, die mit Hepatitis B, Hepatitis C oder HIV infiziert ist oder die in einem Endemiegebiet/ Hochprävalenzland für diese Viren lebt beziehungsweise von dort eingereist ist.
Neu ist auch, dass telemedizinische Verfahren der Untersuchungen zur Spendetauglichkeit eingesetzt werden können. Darüber hinaus wurden die Regelungen bezüglich der Spenderimmunisierung zur Gewinnung von Hyperimmunplasma in die Richtlinie eingegliedert. Den neuen gesetzlichen Vorgaben entsprechend sind die oberen Altersgrenzen für Spendewillige entfallen. Bisher lag die Höchstaltersgrenze bei der Erstspende bei über 60 Jahren und für Wiederholungsspenden bei über 68 Jahren, wobei nach individueller ärztlicher Entscheidung auch Ältere spenden konnten. Jetzt muss die Eignung bei über 60-Jährigen mindestens im Abstand von fünf Jahren überprüft werden. Die Änderungen erfolgten im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut sowie unter Beteiligung des Bundesgesundheitsministeriums und des Robert Koch-Instituts.
Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer: „Die Richtlinie soll allen Ärztinnen und Ärzten, die mit der Hämotherapie befasst sind, ein sicheres Fundament für ihre Tätigkeit vermitteln. Aus Gründen der Sicherheit der Patientinnen und Patienten war und ist für die Bundesärztekammer evident, dass allein wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten Grundlage von Richtlinien in der Medizin sein dürfen. Mit der nun vorliegenden, gemäß dem im Transfusionsgesetz sowie im Statut des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer festgelegten Verfahren fachlich breit konsentierten Richtlinie Hämotherapie haben die Bundesärztekammer und ihr Wissenschaftlicher Beirat die Handlungsfähigkeit der ärztlichen Selbstverwaltung erneut unter Beweis gestellt.“
apl. Prof. Dr. rer. nat. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts: „Die Hämotherapie-Richtlinie wird vom Wissenschaftlichen Beirat der BÄK zusammen mit dem Paul-Ehrlich-Institut entwickelt und im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut veröffentlicht. Die Hämotherapie-Richtlinie definiert im Detail die gesetzlichen Vorgaben der europäischen Gesetzgebung, umgesetzt im Transfusionsgesetz in Deutschland. Die hohe Sicherheit von Blut und Blutprodukten in Deutschland ist unter anderem in den Hämovigilanzberichten des Paul-Ehrlich-Instituts nachvollziehbar dokumentiert. Das Paul-Ehrlich-Institut unterstützt die mit der jetzigen Novellierung eingeführten Neuerungen, wie zum Beispiel die Möglichkeiten der Telemedizin im Rahmen der Blutspende zu nutzen, die Aufhebung der Höchstaltersgrenzen für spendewillige Personen in Verbindung mit einer regelmäßigen Überprüfung der Spendetauglichkeit sowie die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zur Auswahl von spendewilligen Personen auf Grundlage des individuellen Risikoverhaltens. Das Paul-Ehrlich-Institut wird nach der Bundesanzeigerveröffentlichung der Hämotherapie-Richtlinie die aktualisierten Auswahlkriterien für spendewillige Personen in einem angepassten, einheitlichen Blut- und Plasmaspenderfragebogen auf seiner Internetseite zur Verfügung stellen. Vorgaben und Stufenpläne des Paul-Ehrlich-Instituts, zum Beispiel zur Testung von Blutspenden auf Infektionsmarker, tragen auch weiterhin dazu bei, dass in Deutschland eine qualitativ hochwertige Versorgung mit Blut und Blutkomponenten zur Transfusion gesichert ist.“
Prof. Dr. Michael Hallek, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK: „Die Frage der Zulassung zur Blutspende stellt eine Risikostratifizierung auf der Basis der jeweils aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen und epidemiologischen Daten dar. Diese Risikostratifizierung musste nach der Neufassung des Transfusionsgesetzes (TFG) modifiziert werden, um auch künftig die Sicherheit der Blutprodukte sicherzustellen. Hierbei ist gemäß TFG die BÄK dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft und Technik verpflichtet. Ausdrücklich begrüßen die BÄK und ihr Wissenschaftlicher Beirat, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die erreichte hohe Sicherheit von Blutprodukten weiterhin unverändert gewährleistet werden soll.“
Prof. Dr. Johannes Oldenburg, Federführender des Ständigen Arbeitskreises „Richtlinien Hämotherapie“ des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK: „Bei Sexualverkehr ausschließlich innerhalb einer auf Dauer angelegten Paarbeziehung von nicht infizierten Partnern oder Partnerinnen kann per se von keinem erhöhten Risiko für durch Blut übertragbare Infektionskrankheiten ausgegangen werden. Ein erhöhtes Risiko ergibt sich erst aus einem zeitlich aktuellen Sexualkontakt mit Personen, deren Verhalten ein hohes Risiko für durch Blut übertragbare Infektionskrankheiten birgt.“
Die „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten“ wird am 4. September 2023 im Deutschen Ärzteblatt bekanntgegeben und auf der Website der Bundesärztekammer unter www.baek.de veröffentlicht.
Kontakt:
Bundesärztekammer
Samir Rabbata, Leiter Dezernat Politik und Kommunikation
Tel.: +49 30 4004 56 700,
Paul-Ehrlich-Institut
Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel
Dr. Susanne Stöcker, Pressesprecherin
Tel.: +49 6103 77 1030,