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80. Bayerischer Ärztetag in Hof - Statement Dr. Quitterer

80. Bayerischer Ärztetag in Hof - Eröffnungsveranstaltung

Statement von Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer

Willkommen zum 80. Bayerischen Ärztetag in der Freiheitshalle Hof. Ich begrüße Sie zu unsererAuftaktveranstaltung.

Stellen wir uns szenisch vor, das Gesundheitssystem wäre ein Patient und käme zu mir in die Praxis:
„Die Politik hat mir gesagt, ich hätte Schwächen. Auch meine Krankenkasse behauptet das und bietet mir einen Termin in einer Telesprechstunde an. Ich könne mir auch eine Gesundheitsapp herunterladen, wenn mir mein Arzt diese verordnet.“
„Und wie fühlen Sie sich?“
„Herr Doktor, meine Konstitution ist an sich prima und ich habe mich auch während der Pandemie stark gefühlt. Zu schaffen macht mir die Sorge, wie es um meine Zukunft bestellt ist. Da sind Umstände, die es mir beschwerlich machen. Um mich stellt sich eine neue Realität ein. Meine Strukturen sollen aufgebrochen werden. Ich soll mich anpassen, soll aufgeben oder mich verkaufen. Soll fremden Systemen Platz machen, die Innovation vorgeben und dabei in erster Linie wirtschaftliche Interessen verfolgen. Es ginge auch ohne persönlichen Arztkontakt oder über digitale Gesundheitsanwendungen. Herr Doktor, ich bin leistungsfähig, gut ausgebaut, biete hervorragende medizinische Versorgung mit freiberuflichen Ärztinnen und Ärzten im niedergelassenen und stationären Bereich. Wie kann ich das erhalten?“
Soweit das Gedankenspiel.

Solidarisches Gesundheitswesen

Wir, die wir heute zusammenkommen sind, die Repräsentantinnen und Repräsentanten eines Berufes, der wesentlichen Anteil daran hat,dass unser solidarisch getragenes und weltweit anerkanntes Gesundheitssystem so leistungsfähig ist, wie wir es, nicht zuletzt auch während der Pandemie, erleben.

Universitäre Ausbildung und kompetenzbasierte Weiterbildung führen uns in eine Profession, die es uns ermöglicht, eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung einzugehen. Dabei unterstützen uns natürlich digitale Anwendungen, wie Bildübertragung, Speicherung von Befundberichten, Kommunikation der Ärztinnen und Ärzte untereinander sowie mit den weiteren Akteuren im Gesundheitswesen. Diese Form der Digitalisierung ist eine natürliche Entwicklung, wie sie auch unser alltägliches Leben begleitet. Wir müssten sie also gar nicht so sehr ins Wort heben. Dennoch stellt man uns immer wieder die Frage, ob durch die Digitalisierung die Patientenversorgung verbessert wird. Wir müssen unterscheiden: Was ist eine Unterstützung unserer ärztlichen Tätigkeit und dient damit auch dem Patienten? Was verbessert unsere Arbeitsprozesse oder wo können wir in Diagnostik und Therapie unterstützt werden. Eine Telematikinfrastruktur, die nicht reibungslos funktioniert, verbessert die Patientenversorgung nicht und entlastet uns auch nicht von Bürokratie.

Optimierung durch Digitalisierung

Unter dem Mantra der Optimierung durch Digitalisierung drängen jetzt neue Anbieter in die Versorgung, die damit werben, dass es auch ohne den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt, den wir als Goldstandard erachten, geht: Ausschließliche Videosprechstunden, digitale Gesundheitsanwendungen. Das bestehende System wird aufgebohrt, es tritt ein Identitätsverlust einer Struktur ein, die sich aufselbstständig tätige Haus- und Fachärzte wie auch auf eine gemeinsame ärztliche Selbstverwaltung stützt. Unternehmen versuchen an den Leistungen des Gesundheitssektors zu partizipieren. Man hört Rechtfertigungen, wie beispielsweise Entlastungen des Arztes in seiner Sprechstunde bei Bagatellerkrankungen, zusätzliche Verdienstmöglichkeiten ohne Nebenkosten, Wegfall des umständlichen Besuches beim Arzt.

Gewinne versprechen sich auch Kapitalgesellschaften, die Krankenhäuser und Praxen aufkaufen, Groß-MVZ gründen und neue Versorgungslandschaften aufbauen, bei denen letztlich die Rendite im Vordergrund steht. Wir Ärzte werden zum Wertschöpfungsobjekt, die Patienten werden zum Teil der Wertschöpfungskette. Wir fordernden Respekt für die von uns geleistete Arbeit und das muss sich bemerkbar machen, nicht nur durch Krokodilstränen in Pandemiezeiten, sondern auch finanziell! Ich denke hierbei an die Tarifverhandlungen der in den Kliniken arbeitenden Kolleginnen und Kollegen.

Es geht um den Erhalt unseres Gesundheitssystems, das sich über Jahre hinweg bewährt hat. Natürlich braucht es Verbesserungen und Reformen, aber nicht dergestalt, dass wir das Systemaufbrechen oder Sektorengrenzen einreißen. Was sich bewährt hat erhalten und das, was sich nicht bewährt hat, verbessern, statt es zu ersetzen. Es bedarf einer gemeinsamen Reflektion vor allem mit denen, die in der Versorgung tätig sind, nicht mit Experten in den Hinterzimmern!

Von der künftigen Regierung fordere ich, sich für den Erhalt unseres Gesundheitssystems einzusetzen und die bewährten Strukturen auszubauen, die notwendigen Reformen zu finanzieren und zusammen mit der Ärzteschaft weiterzuentwickeln.

Dazu gehören:

» Stärkung des ambulanten Versorgungsbereiches durch Förderung der Niederlassung, beispielsweise durch Steuererleichterungen.
» Anpassung der Versorgung an künftige Herausforderungen sowie Ausrichtung am Bedarf und unter der Prämisse „choosingwisely“.
» Mehr Arztarbeitszeit durch mehr Studienplätze für Humanmedizin in Deutschland.
» Ausbau und Stärkung der Prävention.
» Gesundheitsschutz im Klimawandel.
» Verlässlichkeit der Planung und Finanzierung der Krankenhäuser durch Abbau von Investitionsstau und Reformierung des Fallpauschalensystems.
» Öffentlichen Gesundheitsdienst durch Ausbaunachhaltig stärken.
» Kooperation der Gesundheitsfachberufe und interprofessionelle Zusammenarbeitmit den Beteiligten umsetzen statt ständiger Gesetzesvorgaben.
» Klare Absage an die Kapitalisierung unseresGesundheitssystems.

Diese Forderungen werden wir auf dem vor uns liegenden Ärztetag durch Anträge konkretisieren und an die Politik herantragen. Dazu wünsche ich uns einen guten Verlauf und tragende Beschlüsse zu den uns betreffenden Anliegen. Jetzt freue ich mich auf die Diskussionen der kommenden Tage, auf den Bayerischen Ärztetag.

Der 80. Bayerische Ärztetag ist eröffnet!